Quick Info
Die Anrede in der entsprechenden Geschlechtsidentität muss unabhängig davon erfolgen ob bereits eine Personenstandsänderung vorliegt oder nicht.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1996 entschieden (- 2 BvR 1833/95 -)
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/lg-frankfurt-am-main-obligatorische-angabe-von-herr-oder-frau-diskriminierend
Urteil: LG Frankfurt a. M., Urteil vom 03.12.2020 – 2-13 O 131/20 (https://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20210004
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG) verlangt die Achtung der geschlechtlichen Identität und „schließt die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren“.11,12
Das Landgericht Frankfurt hat im Dezember 2020 entschieden, dass ein rechtlicher Anspruch auf eine der Geschlechtsidentität entsprechende Anrede unabhängig von dem im Geburtenregister registrieren Vornamen und Geschlecht besteht. Nach den Ausführungen des Landgerichts liegt „eine spezifische Gefährdung der selbstbestimmten Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit […] vor, wenn diese andauernd in einer nicht ihrer Geschlechtsidentität entsprechenden Form angesprochen wird.“
Das „zur Persönlichkeitsentfaltung gehörende Recht auf einer der Geschlechtsidentität entsprechenden Anrede [ist nicht] auf die Fälle begrenzt […], in denen eine Änderung des Personenstands bereits stattgefunden hat“.13
Mehr noch, wird „der bei Geburt vergebene Vorname und/oder eine entsprechende geschlechtliche Bezeichnung absichtlich verwendet, um die Zugehörigkeit zum Identitätsgeschlecht in Abrede zu stellen, kann hierin zudem eine strafbare Beleidigung gemäß § 185 StGB liegen“, insbesondere dann, wenn dies kontinuierlich erfolgt.14
Für trans*, inter* und nicht-binäre Personen spielt die Verwendung eines neuen Vornamens eine existentielle Rolle. Eine Nichtbeachtung bzw. das Nicht-Ernstnehmen der geschlechtlichen Identität führt regelmäßig zu Phasen der Traurigkeit, depressivem Verhalten bis hin zu Suizidalität. Bei der korrekten Anrede geht es um ein respektvolles menschliches Miteinander und zählt zu den wichtigen Unterstützungsmaßnahmen für tin* Personen. Ausbleibende Unterstützungsmaßnahmen können laut proFamilia Bundesverband auch eine Kindeswohlgefährdung bedeuten. Es ist daher dringend empfohlen die geäußerte Geschlechtsidentität und den dazu gewählten Namen zu verwenden und der Person damit den entgegengebrachten Respekt zu signalisieren. Sehr oft wirft es aber Rechtsfragen auf, ob man eine Person denn auch so bezeichnen darf, obwohl noch keine amtliche Änderung des Namens und/oder Personenstands stattgefunden hat.
Aber besonders im Alltag hat man oftmals gar nicht die Möglichkeit die Selbstaussage einer Person rechtlich zu prüfen. Wenn man in der Gaststätte Heinz oder Eva kennenlernt, dann muss man dieser „Selbstaussage“ zunächst einmal grundsätzlich vertrauen. Nicht jede hat immer sofort ein Gesetzbuch dabei um das erst einmal juristisch korrekt anzugehen und man verlangt auch nicht gleich bei jeder Begegnung einen Personalausweis.
Daher darf sich grundsätzlich auch erstmal jede Person so nennen wie sie es möchte. Ein Straftatbestand wird dadurch nicht erfüllt, wenn man sich mal mit einem anderen Namen vorstellt. Problematischer ist das jedoch dann im Schriftverkehr. Aber auch bei Akteninhalten kommt es nicht darauf an welchen Namen die Person tatsächlich verwendet, sondern ob sie zweifelsfrei identifiziert werden kann. Das ist bspw. dann relevant, wenn man Rechtsgeschäfte eingeht bzw. sich im Rechtsverkehr befindet und eine „Vollstreckungsfähigkeit“ gewährleistet sein muss. Das kann in einem Kaufvertrag, Arbeitsvertrag oder auch im Schulkontext und ganz besonders in finanziellen Angelegenheiten der Fall sein. Selbst in einem Gerichtsverfahren dürfen Richter*innen die Person in einem Wunschnamen ansprechen, wenn sonst aus dem Inhalt der Akte zweifelsfrei die Identität einer Person festgestellt werden kann. Nachfolgend werden nun ein paar Situationen beschrieben inkl. der dazugehörigen Rechtslage.
Persönlichkeitsrechte von tin* Personen
Behörden oder andere Institutionen vertreten oftmals die Rechtsauffassung, dass der selbst gewählte nicht im Schriftverkehr verwendet werden kann, solange ein formales Namensänderungsverfahren nicht abgeschlossen ist.
Tatsächlich kann jedoch auch bereits vor der Vornamensänderung in dem Personenregister der Beschwerdeführerin der tatsächlich bereits im Alltag geführte Vorname genutzt werden, solange die Person eindeutig identifizierbar ist. Dies ist der Fall, wenn die Person der Behörde oder Institution bereits bekannt ist. In der Regel ist die Person bereits persönlich vorstellig geworden und hat sich mit Personalausweis o.ä. Dokumenten ausgewiesen um sich rechtswirksam an der Schule/Universität einzuschreiben bzw. an der Behörde oder einer anderen Institution zweifelsfrei zu identifizieren. Damit bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Identität der betreffenden Person. Auch eine vorsätzliche Täuschungsabsicht ist demzufolge offensichtlich nicht gegeben.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in Art.2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt nach gefestigter Rechtsprechung nicht nur den Intimbereich, die erfahrene oder gewonnene geschlechtliche Identität und den Ausdruck zur geschlechtlichen Identitätsfindung (vgl. BVerfGE 115, 1, Rz. 47ff. unter Verweis auf BVerfGE 96, 56, 61), sondern auch ein Recht am eigenen Vornamen.
„Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen in der Individualität, in der er sich selbst begreift. Dieser Verfassungsgrundwert gewährleistet zugleich in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG die Freiheit des Individuums, sich seinen Fähigkeiten und Kräften entsprechend zu entfalten. Aus der Achtung der Menschenwürde und dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit folgt das Gebot, den Personenstand des Menschen dem Geschlecht zuzuordnen, dem er nach seiner psychischen und physischen Konstitution zugehört (vgl. BVerfGE 49, 286 <298> ). Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, betriffi dabei seinen Sexualbereich, den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gestellt hat (vgl. BVerfGE 47, 46 <73>; 60, 123 <134>; 88, 87 <97>). Jedermann kann daher von den staatlichen Organen die Achtung dieses Bereichs verlangen. Das schließt die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren.“ (BVerfG Beschluss vom 15.08.1996, – 2 BvR 1833/95)
„In diesem Zusammenhang schützt Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG den Vornamen eines Menschen zum einen als Mittel zu seiner Identitätsfindung und Entwicklung der eigenen Individualität und zum anderen als Ausdruck seiner erfahrenen oder gewonnenen geschlechtlichen Identität.“ (BVerfGE 115, 1, Rz. 47 unter Verweis auf BVerfGE 104, 373, 385; 109, 256, 266). „Dass die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen sich mit dem im Vornamen ausdrückenden Geschlecht deckt, entspricht dem vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützten Wunsch nach Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit im Namen […]“ (BVerfGE 115, 1, 48).
Das Bundesverfassungsgericht erkennt also nicht nur generell den Zusammenhang von Vornamen und geschlechtlicher Identität an, sondern macht auch deutlich, dass auch das Streben nach einer Kongruenz von geschlechtlichem Selbstverständnis und der Namensgebung vom Allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfasst ist.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auf einen der Geschlechtsidentität entsprechenden Namen dient gerade auch der Unterscheidungs- und Identifizierungsfunktion des Vornamens. Denn in den meisten Fällen führen tin* Personen ihren Wunschvornamen bereits als Ruf- und Alltagsnamen.
Die Zuordnung bzw. Anrede mit dem im Alltag nicht mehr genutzten Vornamen ist folglich viel eher geeignet, um Missverständnisse hervorzurufen, statt eine eindeutige Zuordnung zu ermöglichen.
Ein – ohne sachlichen Grund – fortgesetztes Nutzen des abgelegten, weil der falschen Geschlechtsidentität konnotierten, Vornamen in Schriftsätzen und Verhandlungen, würde eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes der Person mit sich bringen und ist daher zu vermeiden. Die fortgesetzte Nicht-Akzeptanz der gelebten Geschlechtsidentität und der damit verbundenen Vornamenswahl führt darüber hinaus bei inter- und transgeschlechtlichen Personen sehr häufig zu depressivem Verhalten bis hin zu Suizidalität und stellt daher eine vermeidbare Gesundheitsgefährdung dar. Das „mis-gendern“ oder die Ansprache mit einem abgelegten Namen gilt bspw. bei Kindern und Jugendlichen als „fehlende Unterstützungsmaßnahme“, die als Kindeswohlgefährdung gewertet werden kann. (Link proFamilia (S.30)).
Der Umstand, dass dieser Personenkreis eine solche Diskriminierung auch von staatlicher Seite erfahren muss, kann das Vertrauen in den Rechtsstaat erheblich erschüttern.
Bei der Akzeptanz des neuen Vornamens handelt es sich um eine Geste des Respekts und um die Anerkennung der Grundrechte der betreffenden Person, insbesondere des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und der Menschenwürde. Für die betreffenden Personen ist das von existenzieller Bedeutung.
Finanzwesen
Uni- und Schulkontext
Arbeitssituation
Grundbuchregister
Wenn eine trans* Person nach dem Offenbarungsverbot gemäß §5 TSG eine rückwirkende Änderung in ihren Dokumenten verlangt, dann steht ihr das auch zu. Dies steht jedoch mit der Publizitätsfunktion des Grundbuches in Konflikt. Der Bundesgerichtshof hat hierfür eine relativ pragmatische Lösung gefunden. In einem Beschluss des BGH vom 07.03.2019 (Az. V ZB 53/18) wurde beschlossen: „das bisherige Grundbuchblatt wird geschlossen und ein neues Grundbuchblatt wird eröffnet.“ und „Die Einsicht in das wegen eines Offenbarungsverbots gemäß § 5 Abs. 1 TSG geschlossene Grundbuchblatt ist nur solchen Personen zu gestatten, die ein berechtigtes Interesse hieran, d.h. (auch) an den früheren Eintragungen dargelegt haben.“
Das Grundbuchregister wird stets fortgeschrieben, das heißt Änderungen sind in der Historie immer sichtbar für alle, die ein Interesse an dem jeweiligen Grundbuchblatt haben. Wird ein Grundbuchblatt geschlossen, ist es für die Öffentlichkeit nicht mehr einsehbar. Nur Personen, die ein „berechtigtes Interesse“ nachweisen, erhalten dann Einsicht. Ein berechtigtes Interesse kann bspw. die Staatsanwaltschaft für Ermittlungsarbeiten besitzen. Hat eine Person ein Kaufinteresse an einem Grundstück, besteht i.d.R. nur ein Interesse an den aktuellen Eintragungen, so dass das Geheimhaltungsinteresse der trans* Person gewahrt bleibt. Da gleichzeitig ein neues Grundbuchblatt angelegt und eine neue Nummer vergeben wird, besteht i.d.R. auch keine Notwendigkeit mehr das geschlossene Grundbuchblatt einzusehen.
Gerichtsverfahren
Das sogenannte Rubrum bezeichnet in einem Gerichtsverfahren die streitenden Parteien. Es gibt das Aktiv-Rubrum der klagenden Partei und das Passiv-Rubrum der beklagten Partei. Um diese Parteien zweifelsfrei identifizieren zu können muss dieses Rubrum möglichst genau beschrieben werden. Das wirft die Frage auf ob tin* Personen, die amtlich noch in ihrem bei Geburt zugewiesenen Namen und Personenstand registriert sind, mit einer anderen Bezeichnung im Rubrum geführt werden können. Der Bundesgerichtshof hat zur Bezeichnung des Rubrums eine klare Rechtsauffassung. Diese besagt, dass es zwischen der Rubrumsbezeichnung und dem Inhalt der Akten keine Übereinstimmung geben muss. Wenn aus den Gerichtsakten zweifelsfrei erkennbar ist um welche Partei es sich handelt und die Partei so identifizierbar ist, dann kann die Bezeichnung im Rubrum davon abweichen.
(Das Beschwerdegericht führt in einer Verfügung vom 17.02.2020 unter Punkt 3. zutreffend aus, dass „die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden kann“ gewährleistet sein muss, wenn die Unterschrift fehlt. Auch für das Rubrum kann aus dem Inhalt des Verfahrens zuverlässig entnommen werden um welche Person es sich handelt.)
Für das Rubrum maßgebend ist, „welcher Sinn dieser prozessualen Erklärung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist.“ (BGH Urteil v. 29.03.2017, VIII ZR 11/16). In Verbindung mit dem Gerichtsaktenzeichen, sind eine ausreichende Zuordnung des Verfahrens zu der klagenden Partei und gleichzeitig die Wahrung deren Grundrechtsschutzes möglich.
Entscheidungen Bundesverfassungsgericht